Big Business „Sharing“ – Profil

Sharing ist besonders dann angesagt, wenn sich damit Geld verdienen lässt. Gerade das plattformkapitalistische Segment der Tauschökonomie legt enorme Zuwächse vor.

Weltweit wurden bisher 15 Milliarden US-Dollar in Sharing-Economy-Start-ups investiert, wobei die Geldflüsse zuletzt heftig an Dynamik gewonnen haben. Allein im ersten Halbjahr 2015 wurden sechs Milliarden Dollar in den jungen Wirtschaftszweig gepumpt (siehe Grafik). Dass sich gerade diese Start-ups zu Investitionsmagneten
entwickelt haben, liegt am Charme des Geschäftsmodells. Es ist simpel und hat enormes Potenzial: Über Buchungswebsites samt Apps werden Kunden und Anbieter zusammengebracht, dabei fällt eine Gebühr an, die je nach Modell der Kunde oder der Dienstieister an den Vermittler überweist.In Österreich sind bisher vor allem ausländische Sharing-Economy-Unternehmen unterwegs. Und die wenigen heimischen Start-ups haben zumeist von Beginn an auch den deutschen Markt im Visier.
„Großwerden“, so lautet Norbert Köcks Plan. Er ist Chief Operating Officer von check-robin.com. Die Mitfahrzentrale für Dinge wuhmer Hannes Jagerhofer gegründet und hat Niki Lauda und Attila Dogudan als Investoren an Bord. Im Mai 2013 ging der Dienst samt App online und hat seither an die 108.000 Fahrten vermittelt. Die Idee: Privatleute, die längere Strecken mit dem Auto zurücklegen, nehmen für andere Dinge wie etwa einen Reisepass oder ein Päckchen mit. Bei checkrobin.com will man die Transportgage als Sprit-Zuschuss verstanden wissen. „Das ist kein Gewerbe“, betont Köck. Vorläufig kann die Plattform kostenlos genutzt werden, doch mit dem Einheben einer Provision von drei Euro pro Auftrag soll noch heuer begonnen werden.

„Es muss gelingen, klare Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb zu finden.“Klemens Himpele, Leiter der MA 23, über die Sharing-Economy

 

Beim Teilen geht es mit der Sorgfalt bergab. Wieso klammern sich Menschen an eigenen Besitz? Die Wirtschaftswissenschafterin Bernadette Kammleitner erforscht die psychologische Bedeutung von Eigentum.

AIRBNB FÜR MEETINGRÄUME

So beschreibt Matthias Kubicki  das Geschäftsmodell „keytooffice“.

Profil: Welche Bedeutung hat Besitz für uns Menschen?

Bernadette Kamleitner: Er ist an unsere Identität gekoppelt – banale Dinge wie der Nagellack, den wir tragen, oder wo wir wohnen, helfen uns, zu verstehen, wer wir sind. Durch unsere Besitztümer grenzen wir uns voneinander ab, können aber auch ein Kollektiv erzeugen: Wenn jemand den gleichen Gegenstand besitzt, haben wir schon eine
Gemeinsamkeit.

profil: Der Trend bewegt sich in Richtung Tausch- und Teil-Wirtschaft. Wird Eigentum
tatsächlich unwichtiger?

Kamleitner: Nicht die Bedeutung von Besitz nimmt ab, wohl aber der Wunsch nach materiellen Besitzgütern. Einander Unternehmungen und Gutscheine zu schenken, ist viel häufiger geworden. Auch Erinnerungen kann man besitzen. Bei manchen Gegenständen gehört es seit jeher dazu, dass sie mehreren Menschen gehören, wie etwa ein
Haus. Ob gemeinsames Besitzempfinden möglich ist, hängt dabei von der Nähe der Community ab.

profil: Durch das Internet kann man inzwischen weit über den eigenen Bekanntenkreis hinaus teilen. Kann das auf Dauer gutgehen?Kamleitner: Das ist die Frage. Der Begriff Sharing Economy wird meist falsch eingesetzt: Tatsächlich handelt es sich bei dem jetzigen Trend um ein neues Geschäftsmodell, das unter dem Gemeinschafts-Deckmantel präsentiert wird. Diese „Access-Based-Communities“ werden fälschlicherweise der .Sharing Community“ untergeordnet. In den meisten Fällen macht man nichts anderes, als sich einen günstigen Zugang zu Gegenständen zu kaufen. Bei richtigem „Sharing“ stehen Besitzgefühle und eine geteilte Verantwortung dahinter.

profil: Je größer und gesichtsloser die Gruppe, desto geringer ist das gemeinsame  Verantwortungsgefühl?

Kamleitner: Genauso ist es. In unseren Studien haben wir untersucht, in welchem Szenario Besitzgefühl und Sorgfalt größer sind: Im ersten wurde ein Objekt individuell besessen, im anderen von der Hausgemeinschaft geteilt. Grundsätzlich geht es mit der Sorgfalt bergab, sobald etwas geteilt wird, weil der Einzelne weniger Verantwortung empfindet.
Köck: „Wir wollen zunächst weiter wachsen. Läuft alles nach Plan, werden wir spätestens 2016 nach Deutschland gehen.“

Der große Nachbannarkt war auch beim Wiener Start-up keytooffice.com von Beginn an ein Thema. Das Unternehmen wurde im August 2013 von Vladlena Taraskina und Matthias Kubicki gegründet. Nachdem aber bisher kein zum Unternehmen passender Investor für die Deutschland-Expansion gefunden werden konnte, konzentriert man sich auf den Wiener Markt. Kubicki beschreibt keytooffice.com als „Airbnb für Meetingräume“. Über die Plattform vermieten Unternehmen ungenutzte Besprechungszimmer stunden- oder tageweise, keytooffice.com behält eine Vermittlungsgebühr von 20 Prozent ein.

Investitionsmagnet

Insgesamt sind weltweit bisher über 15 Milliarden Dollar in Sharing-Economy-Start-ups geflossen.

Ob die profitorientierte Ausprägung der Sharing Economy nun mit der echten nichts gemein hat (siehe Interview) und lediglich listig getarnte Umverteilung ist von eingesessenen Unternehmen, die Business as usual betreiben, hin zu gewieften Start-ups, die mit Dumpingangeboten in den Markt eintreten und dabei die Regeln des Wettbewerbs nicht einmal ignorieren, sei dahingestellt. In Österreich ist die öffentliche Hand jedenfalls mit dem Problem konfrontiert, dass die Sharing Economy in vielen Fällen gut organisierte Schattenvvartschaft bedeutet.

Die PRODINGER GFB TOURISMUSBERATUNG errechnete, dass der Staatskasse 2016 rund 9,2 Millionen an Mehrwertsteuer entgehen werden und den Gemeinden durch die Vermietung via Plattformen weitere 4,5 Millionen an nicht abgeführten Ortstaxen.

Eine aktuelle Studie vom Europaforum Wien zur Sharing- und On-Demand-Economy im Auftrag der Stadt Wien trägt nicht zufällig den Titel „The Big Transformers“. „Damit sollte signalisiert werden, dass diese Entwicklung nicht etwas ist, das man aussitzen kann“, betont Autor Herbert Bartik. Der Trend ist kein temporäres Phänomen, sondern wird sich fortsetzen und in seiner Eigenschaft als umwälzerische Innovation den gesamten Diensüeistungssektor gehörig aufmischen.Eine künftige Co-Existenz von Plattform- und konventionellen Anbietern müsse sinnvoll, jedoch nicht überreguliert sein, betont Bartik. Die Botschaft ist angekommen: Die zuständige Wiener Magistratsabteilung 23 hat nun eine Arbeitsgruppe installiert, die bis Jahresende eine Sharing-Economy-Strategie erarbeiten soll. Man will auch über Kooperationen mit den Anbietern nachdenken.

Als Beispiel für eine gelungene Zuckerbrot-und-Peitsche-Lösung gilt der Deal zwischen Amsterdam und Airbnb: Die Stadt hat Rahmenbedingungen für diese neue Art der Privatvermietung geschaffen. Im Gegenzug hebt Airbnb die Tourismusabgabe direkt an der Quelle ein und überweist sie an die Stadtkasse. Nicht nur der Staat steht vor neuen Herausforderungen. Auch Privatpersonen, die über Internetplattformen zu Geschäftsanbietern oder Konsumenten werden, sollten sich über die Implikationen der Sharing Economy Gedanken machen: „Es wirkt romantisch, die Flexibilität eines Einzelunternehmers zu leben, aber die Gefahr der prekären Arbeitsverhältnisse bis hin zur Selbstausbeutung ist groß“, so Johannes Lutter, Co-Autor der Studie des Europaforums. Mit weiterer Zunahme von Mikrounternehmen stelle sich die Frage, ob unser derzeitiges Gewerberecht und Versicherungssystem noch zeitgerecht wären. „Schaffen wir es nicht, die Strukturen rechtzeitig anzupassen, könnte es sein, dass sich in Zukunft nur wenige Personen gute, professionelle Arbeit leisten können. Der Rest wird in prekären Arbeitsverhältnissen leben.“

Unter Goldgräberinnen

Ein Samstagvormittag im Juni in einer Volkshochschule im 9. Wiener Gemeindebezirk. Im Souterrain hängen in einem großzügigen Raum Kleidungsstücke auf Ständern, nach Größen geordnet, die von Frauen umkreist werden. Und ständig kommen neue dazu – Frauen wie Kleider. Die Tauschveranstaltung heißt Top Swap und findet mehrmals pro Jahr statt. Das System ist simpel: Man bringt mindestens drei Teile in gutem Zustand mit, und genauso viele Kleidungsstücke, wie man einbringt, kann man für je einen Euro gegen andere eintauschen.
Wer den Top Swap besucht, will vor allem eines: für wenig Geld an viel schicke Kleidung herankommen. Einige Textilien, die da hängen, sind tatsächlich nie getragen worden – wohl klassische Fehlkäufe. Mehrere Besucherinnen haben Erfahrung mit Kleidertauschpartys, zumal sie perfekt ausgestattet sind: In übergroßen Einkaufstaschen schleppen sie ihre Beute mit sich herum; manche ziehen gar Rollkoffer hinter sich her. Zwei schmale, junge Frauen stehen beim Eingang und passen, ob denn da jemand mit ähnlich zarter Statur Ware einbringt. Und jedes Mal, wenn frische Teile in den Showroom gebracht werden, macht sich hektische Aktivität breit und es bildet sich eine Menschentraube, die jenem folgt, der die Kleidungsstücke aufhängt. Trotz Goldrauschs ist die Stimmung gut, man kommt leicht ins Gespräch, teilt man doch die Leidenschaft für Mode – und für die Jagd danach.

 

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