„Das wird uns irgendwann auf den Kopf fallen“ – Tiroler Tageszeitung
Flächenverbrauch und Freizeitwohnsitze sind nicht nur in Kitzbühel ein heißes Thema.
Vor 20 Jahren haben Sie beim Stadtleitbildprozess für Kitzbühel mitgearbeitet. Hat sich die Stadt touristisch so entwickelt, wie Sie sich das vorgestellt haben?
Thomas Reisenzahn: Positiv zu sehen ist auf jeden Fall, dass es eine Entwicklung zum Ganzjahrestourismus gibt und Kitzbühel für Seminare und Tagungen attraktiv geworden ist. Auf der anderen Seite ist der Flächenverbrauch so intensiv wie noch nie in der Geschichte Kitzbühels. Das ist ein Thema, das uns irgendwann auf den Kopf fallen wird.
Wo wird der Flächenverbrauch am deutlichsten sichtbar?
Reisenzahn: Das sieht man am besten an den Ortseinfahrten, nicht nur in Kitzbühel, sondern auch in St. Johann, Kufstein oder Wörgl. Die Eingänge in die Gemeinden haben überhaupt keinen Charme mehr. Wir haben es hier mit einem Grundübel zu tun: Die Finanzen der Gemeinden sind auf Beton gebaut. Das heißt, je mehr Gewerbe ich ansiedle, desto mehr Kommunalabgaben bekomme ich.
Tragen auch Freizeitwohnsitze zum massiven Flächenverbrauch bei?
Reisenzahn: In den letzten 20 Jahren hat sich eine geradezu unintelligente Raumordnung etabliert, dabei spielen Zweitwohnungen und Freizeitwohnsitze eine große Rolle. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind solche Wohnungen nicht interessant, weil sie am Anfang eine hohe Rendite haben, aber nach acht Jahren nimmt die Wertschöpfung stark ab. Es gibt aber auch eine soziale Komponente bei diesem Thema. Im Moment wächst eine Generation heran, die ein anderes Verhältnis zu Besitz hat als jene vor 20 Jahren. Ich bin gespannt, wie junge Menschen, die Freizeitwohnsitze vererbt oder überschrieben bekommen, damit umgehen. Im Zeitalter von „sharing economy“ (gegenseitiges Bereitstellen von Räumen, Anm.) wird Besitz oft als Belastung gesehen.
Ein Beweis für diesen Trend sind Plattformen wie airbnb, auf denen Privatleute ihre Wohnungen anbieten.
Reisenzahn: In Kitzbühel gibt es über 600 Angebote auf Plattformen wie airbnb, wimdu und 9flats. Doch viele davon sind Freizeitwohnsitze, die meisten Wohnungen haben keine gültige Meldung. Davon hat die Stadt nichts. Der TVB bekommt keine Ortstaxe, der Staat keine Umsatzsteuer.
Apropos Steuer: Im Tourismusausschuss des Nationalrates kritisierten Sie kürzlich die Umsatzsteuer für die Tourismusbranche, die von 10 auf 13 Prozent angehoben wurde. Was ist dabei das Hauptproblem?
Reisenzahn: Von den 28 EU-Ländern haben 20 einen niedrigeren Satz als Österreich, Deutschland hat zum Beispiel eine Umsatzsteuer von sieben Prozent. So eine Erhöhung ist automatisch ein Ertragsnachteil für österreichische Hoteliers. Dabei hat die heimische Hotellerie ohnehin schon mit hohen Abgaben zu kämpfen. Das jährliche Betriebsergebnis zum Beispiel beträgt durchschnittlich zwei Prozent. Und drei Viertel der Staatseinnahmen sind auf Besteuerung von Löhnen ausgerichtet.
Die Tourismusbranche wird auch für Einheimische immer weniger attraktiv. Laut Wirtschaftskammer Österreich gibt es im Beherbergungs- und Gaststättenwesen 17.460 ausländische Arbeitnehmer, nur in Wien sind es mehr (Stand 2014). Was muss passieren, damit wieder mehr Einheimische im Gastgewerbe arbeiten?
Reisenzahn: Grundsätzlich ist zu sagen, dass es nicht verwerflich ist, wenn internationale Gäste auf internationales Personal treffen, auch wenn der Tiroler Produktcharakter mit einheimischer Dienstleistung assoziiert wird. Hier haben wir es mit einem Paradigmenwechsel zu tun. Auf der einen Seite wollen wir sieben Tage die Woche 24 Stunden Dienstleistungen angeboten bekommen, doch niemand will selbst am Wochenende arbeiten. Natürlich müssten sie mehr verdienen. Auch die Mindestsicherung hängt mit dem Thema zusammen, die Menschen sind sehr auf Sozialleistungen ausgerichtet.
Das Interview führte Miriam Hotter
Tourismusberater Thomas Reisenzahn.