EU-Richtlinie – Alpinurlaub mit Beipackzettel – Der Standard

Wer künftig ein Skiopening bucht, muss Merkblätter lesen. Ein neues Reiserecht definiert die Rolle von Tourismusverbände und Bergbahnen neu

Wien – Sölden, Schladming, Zell am See – der Start in die heurige Wintersaison ist durchwegs geglückt. Life-Pop-, Schlager- und Rockmusik-Gruppen haben auch in anderen Metropolen des Skisports kräftig eingeheizt oder werden dies bis Weihnachten noch tun. Nichtsdestotrotz geht in der Branche ein Gespenst um, und das heißt EU-Pauschalreiserichtlinie.

Nicht nur Hoteliers, auch einzelne Tourismusverbände, Destinationen und Bergbahnen könnten, ohne es zu wollen, über Nacht zu Reiseveranstaltern deklariert werden. Das zöge einen Rattenschwanz an Folgen nach sich, von Haftungsübernahmen über detaillierte Informationspflichten bei Pauschalen bis zu Vorkehrungen gegen eine allfällige Pauschalreisen neu.

„Viele sind sich nicht bewusst, was alles auf sie zukommt,“ sagte Thomas Reisenzahn, Geschäftsführer und Gesellschafter der Prodinger Tourismusberatung, dem STANDARD.

Das Unternehmen mit Standorten in Wien und Zell am See hat für den Fachverband Hotellerie in der Wirtschaftskammer und das Wirtschaftsministerium eine Studie zur neuen Pauschalreiserichtlinie erstellt. Fazit: Auf die Branche kommen gravierende Änderungen zu, auf die die allerwenigsten Player eingestellt sind.

Die Branche stand ursprünglich hinter der Rechtsreform, die Ende 2015 von den 28 Mitgliedsstaaten der EU beschlossen wurde. Schließlich ist durch Onlineportale im Kundenservice einiges durcheinandergeraten. Wer eine klassische Pauschalreise bei Tui oder Thomas Cook bucht, kann sicher sein, nach der Insolvenz eines beteiligten Unternehmens trotzdem reisen zu können oder zumindest Geld zurückzubekommen. Wer sich identische Einzelleistungen im Netz selbst sucht, hat diesen Schutz nicht. Vor allem Verbraucherschützer machten Druck, dass sich daran etwas ändert. In den gut sieben Jahren Verhandlung gelangten aber immer mehr Punkte in die EU-Richtlinie, die bis Ende 2017 in nationales Recht transformiert werden soll. Ein Entwurf des Justizministeriums, der dem STANDARD vorliegt, deutet die Richtung an, in die es geht.

All-inclusive betroffen

Demnach sind künftig alle Anbieter touristischer Leistungen von der Richtlinie betroffen, sofern sie All-inclusive-Angebote schnüren und zu einer Übernachtung auch andere Leistungen – Konzertbesuch, Skipass, Wellnessbehandlung – dazupacken. Jede Teilleistung muss aber mindestens ein Viertel des Gesamtpreises ausmachen, um unter die neuen Bestimmungen zu fallen.

Die Insolvenzabsicherung hat das Justizministerium an das Wirtschaftsministerium ausgelagert. Derzeit laufen Gespräche über mögliche Angebote für die Branche. Ein Reiseveranstalter muss eine Versicherung oder Bankgarantie von mindestens acht Prozent des Jahresumsatzes nachweisen. Um diese Belastung den Hoteliers abzunehmen, gibt es die Idee, dass die Hotel- und Tourismusbank einspringt. „Ein Ergebnis ist noch offen,“ heißt es im Wirtschaftsministerium.

Tourismusbetriebe denken nach

In Österreich gibt es neben zigtausenden Hotelbetrieben 1300 Tourismusverbände, 90 Destinationen und geschätzt 50 bis 60 Bergbahnen, die sich Gedanken über die künftige Vorgehensweise machen müssen. „Es wird für Tourismusverbände notwendig sein, aktiver als bisher in den Verkauf zu gehen,“ ist Andreas Steibl, Tourismusverantwortlicher von Ischgl-Paznaun, überzeugt. Körperschaften öffentlichen Rechts, wie es Tourismusverbände sind, müssten jetzt schon Rücklagen bilden. Mit den noch strengeren Vorschriften durch die Pauschalreiserichtlinie schieße man eindeutig über das Ziel hinaus. (Günther Strobl, 6.12.2016)

Artikel auf Der Standard Online

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