Zwischen Popstar und Sternschnuppe

Zwischen Popstar und Sternschnuppe

In den sozialen Medien sind sie mittlerweile fast omnipräsent. Influencer sind die digitalen Meinungsführer, die sich auch Tirols Tourismus zunutze macht. Ohne strategischen Zugang zum Thema ist die Geldverschwendung vorprogrammiert. // Text: Marian Kröll

Dr. Barbara Theiner ist Bereichsleiterin für Tourismusmarketing am MCI sowie langjährige Unternehmensberaterin. Was phonetisch wie eine Grippe klingt, hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich epidemisch in den sozialen Medien verbreitet. Der Influencer ist heute fast omnipräsent, und Präsenz ist nicht nur gut fürs Geschäft, es ist die unabdingbare Grundbedingung des Influencer-Daseins. Der neudeutsche Begriff meint Personen, die durch Präsenz und Einfluss in den sozialen Netzwerken als Werbeträger betrachtet werden können.

Dereinst, vor dem Jahr 2012 im Internetzeitalter also vor einer halben Ewigkeit -, war es noch der Travel Blogger, wohl die Urform des Influencers. Damals, als Bloggen noch richtig angesagt war. Heute ist das Führen eines Weblogs in etwa so cool wie Facebook unter Pubertierenden. Die digitalen Meinungsführer sind weitergezogen zu anderen Plattformen, auf denen sie als „Content Creators“ ihre häufig bezahlten oder gesponserten Inhalte verbreiten können. Für die einen sind Influencer die Popstars unserer Zeit, für die anderen sind sie nicht mehr als eine vorübergehende Modeerscheinung, die – so wie einige ihrer Protagonisten, die in letzter Zeit auffällig gehäuft von Burn-out und dergleichen berichten – bereits mit ersten Ermüdungserscheinungen zu kämpfen hat. Es gibt heutzutage kaum noch große Marken, die zu Werbezwecken nicht auf Unterstützung durch die digitalen Meinungsführer setzen. Ob die derart lancierten Kampagnen gelingen, steht wiederum auf einem gänzlich anderen Blatt.

Die Idee, im Marketing auf Influencer zu setzen, ist zunächst einmal nicht schlecht. Im Gerangel um die knappe Aufmerksamkeit bleiben „klassische“ Werbeformen im Internet oft  aufgrund von Ad-Blockern außen vor. Da ist es doch ungleich eleganter, die frohe Botschaft mittels Influencern zu verbreiten, die auf ihren jeweiligen Kanälen über eine mehr oder weniger große und engagierte Anhängerschaft verfügen. Doch selbst das ist nicht ohne Tücken. „Je mehr, desto besser“ ist bezogen auf die Anzahl der Follower nicht zwingend richtig, wenn man berücksichtigt, dass man mit Bots oder durch schnöden Follower-Kauf richtig tief in die Trickkiste greifen kann. Follower müssen erstens echte Menschen sein und sich zweitens für die transportierten Inhalte interessieren. Letzteres lässt sich anhand von Reichweite, Impressions, Engagement Rates und Interaktionen zumindest oberflächlich nachvollziehen.

Der Cost-per-Engagement (CPE) ist zum Beispiel eine Metrik, mit der Erfolg im Influencer-Marketing gemessen werden kann. Influencer werden ob zu Unrecht oder nicht – gehypt und gelten als Hoffnungsträger der digitalen Werbewelt. Insofern ist es auch logisch, dass man sich auch in Tirol zunehmend ihrer bedient. Es ist auch ohne einen Blick auf die einschlägigen Statistiken zu werfen nicht verwegen, den Fremdenverkehr als massenkompatibelstes Produkt zu bezeichnen, das das Land zu bieten hat. Produktseitig stimmt das Gesamtpaket aus alpinen Landschaften, zeitgemäßen Infrastrukturen und gekonnt inszenierter Tirolität. Der Tourismus brummt.

Andere für sich sprechen lassen

Dr. Barbara Theiner ist Bereichsleiterin für Tourismusmarketing am Management Center Innsbruck/MCI sowie langjährige Unternehmensberaterin für Tourismusmarketing. Die Expertin weiß, wie man die digitalen Meinungsführer effektiv zur Geltung bringt. „Mund-zu-Mund-Werbung war, ist und wird auch zukünftig die absolut stärkste und wichtigste Form der Beeinflussung von Konsumentscheidungen sein. Aufgrund technologischer Entwicklungen hat diese Word-of-Mouth-Kommunikation aber ganz neue Dimensionen angenommen“, erklärt Theiner.

„Andere für sich sprechen zu lassen gehört heute zum E-Commerce-Marketing dazu wie früher die Briefmarke auf der Werbepostkarte“, weiß auch Tourismusberater Thomas Reisenzahn von der Prodinger Tourismusberatungs GmbH. „Influencer-Marketing ist eine Chance, die das Potenzial bietet, die Reiseentscheidungen zu beeinflussen. Gleichzeitig würde ich aber nicht jeden Blogger, YouTuber oder Instagramer mit hoher Reichweite automatisch als Influencer bezeichnen wollen“, hält Theiner fest. Reichweite ist also lange nicht alles. Nach welchen Kriterien sucht man sich als Tourismusverband oder Beherbergungsbetrieb aber den passenden Influencer aus?

Die erste Frage, die man sich stellen muss, ist die nach dem Warum. Warum will ich überhaupt mit einem Influencer zusammenarbeiten, welche Ziele will ich erreichen? Sind es Image-, Profilierungs-, Neukundengewinnungs- oder thematische Ziele? Wen will ich mit meiner Botschaft erreichen?“, fragt Theiner. Diese Fragen sind keineswegs rhetorischer Natur. Wer darauf keine Antworten hat, kann seine Influencer-Marketing-Ambitionen gleich wieder einstellen, weil die Wahrscheinlichkeit der Geldverschwendung hoch ist. Mittlerweile gibt es sogar Agenturen, die dabei unterstützen, Unternehmen und Influencer zusammenzubringen, die zueinander passen. Die Marketingexpertin ist der Meinung, dass die Zusammenarbeit jedenfalls längerfristig angelegt werden sollte und die Reichweite nicht die größte Rolle spielt. Der Style des Influencers müsse zu den Botschaften passen, „meinen Brand unterstützen, und zwar nicht allein durch den Content, sondern durch das gesamte Auftreten“, sagt Theiner.

Im Tourismus wird in Tirol allgemein nur wenig dem Zufall überlassen. Anders wären Höhenflüge, wie sie im Fremdenverkehr vorgezeigt werden, wohl nicht möglich. Doch wie professionell geht man ans Influencer-Marketing heran? „Das Thema Social Media, zu dem Influencer-Marketing gehört, hat definitiv in den allermeisten touristischen Betrieben Einzug gehalten. Leider geht man allgemein noch zu wenig professionell, strukturiert und strategisch damit um“, weiß Theiner. Die Gefahr, dass Kampagnen außer  Kontrolle geraten und letztlich zu einem Debakel für den Auftraggeber werden könnten, besteht laut der Expertin kaum. Das gilt aber nur, wenn man vorher seine Hausaufgaben gemacht hat. „Die einzige Gefahr sehe ich darin, dass man ohne Planung auf einen Zug aufspringt und dann nicht weiß, in welche Richtung er fährt. Wenn ich mich damit beschäftigt habe, ist das Risiko aber sehr gering, dass kontraproduktive Inhalte transportiert werden. Imageschädigend kann es dagegen sein, wenn der Style des Influencers überhaupt nicht zur eigenen Marke passt.“ Etwas pessimistischer ist diesbezüglich Thomas Reisenzahn: Wenn ein You-Tuber das Markenimage bestimmen kann, dann gibt es keine Kontrolle mehr. Das muss einem bewusst sein.“

Die Onlinemarketingbudgets sind naturgemäß mit der steigenden Popularität der sozialen Medien mitgewachsen. Wie viel davon für Meinungsführer ausgegeben wird, lässt sich jedoch mangels Zahlen nicht mit Gewissheit sagen. Der Bereich sei in den letzten drei Jahren enorm gewachsen, weiß Reisenzahn aus Erfahrung.

Glaubwürdig?

Glaubwürdigkeit und Authentizität gelten gemeinhin als Conditio sine qua non im Geschäft der digitalen Meinungsmacher. Umso überraschender ist das Ergebnis einer Untersuchung, wonach 57 Prozent von mehr als 1.500 Social-Media-Nutzern in Influencern vor allem das sehen, was sie im Grunde genommen sind: nämlich Personen, die durch Werbung Einnahmen generieren möchten. Und es kommt noch dicker: 61 Prozent jener, die keinem Social-Media-Sternchen folgen, halten Influencer für unglaubwürdig, 57 Prozent für nicht authentisch, Gift für die Glaubwürdigkeit ist es, wenn Influencer mit Marken kooperieren, die nicht zu ihnen passen. Von einem Drittel der Konsumenten werden Kooperationen – also im Grunde genommen der Kern dieses Geschäftsmodells – überhaupt abgelehnt. Drum prüfe, wer sich an einen Influencer bindet. „Man hat in Studien festgestellt, dass die Zielgruppe, die sich überhaupt von Influencern beeinflussen lässt, tendenziell  eher auf normale Personen reagiert als auf Prominente“, erklärt Barbara Theiner. Es werde außerdem fein differenziert, ob jemand bezahlt werde oder aber Testprodukte bzw. -aufenthalte als Sachleistung bekomme, wobei Letzteres interessanterweise höhere Glaubwürdigkeit genieße. Thomas Reisenzahn sieht das noch relativ junge Influencer-Marketing bereits in einer generellen Glaubwürdigkeitskrise. Deshalb sei geboten, sorgfältig jene digitalen Meinungsführer auszuwählen, die noch ein hohes Maß an Credibility besäßen.

Der Print ist tot, es lebe der Print!

Barbara Theiner glaubt, dass zukünftig die konventionelle PR wieder stärker an Bedeutung gewinnen wird. Schließlich gibt es dabei keine Ambivalenzen, es ist klar, dass es sich um eine bezahlte und hoffentlich hochwertige Leistung handelt. Aus den Ausführungen der Expertin wird klar, dass Influencer-Marketing jedenfalls kein Allheilmittel ist und auch nicht das Schweizer Taschenmesser des Social-Media-Marketings, sondern nur ein Werkzeug unter vielen. Noch dazu eines, das gezielt und wohlüberlegt eingesetzt werden will. Wem dagegen nur ein Hammer zur Verfügung steht, der wird alles für einen Nagel halten. So brachial geht es im Marketing aber nicht. Das Ziel sollte weiterhin die Methode determinieren, nicht umgekehrt.

Der hartnäckige Abgesang auf das gedruckte Papier war schon einmal lauter, die Zahl jener, die die Vorzüge des Print zu schätzen wissen, steigt wieder. „Print hat nach wie vor seine Berechtigung. Das Verhältnis zwischen analogen und digitalen Medien bei der Reiseentscheidung ist entgegen der Wahrnehmung immer noch ausgeglichen“, meint Theiner. Der stärkste Vertriebskanal sei dabei generell weiterhin der eigene Mitarbeiter. Die Affinität zu Print oder Digital ist übrigens auch keine Generationenfrage. So ist die am stärksten wachsende Kohorte bei neuen Facebook-Usernjene zwischen 55 und 65 Jahren. Nicht zuletzt deshalb gilt der Appeal der jüngst unter Beschuss geratenen Zuckerberg-Plattform unter Teenagern als enden wollend.

Harte Arbeit

In vielen jungen Menschen, die via Social Media die Inhalte der Influencer konsumieren, reift der Wunsch heran, selbst dazugehören zu wollen. Die Erscheinung „Influencer“ wird idealisiert, weil von außen nicht sichtbar ist, dass Geduld und Disziplin zum Job gehören. „Influencer zu sein, ist absolut harte Arbeit. Und nicht jeder, der eine große Community hat, ist automatisch auch ein Influencer. Sprich man von erfolgreichen Blogger, YouTubern und Instagramern, wird einem erst bewusst, dass diese Arbeit außerdem mit einem enormen Druck verbunden ist, weil man die Community nicht enttäuschen darf“, sagt Theiner. Am erfolgversprechendsten scheint das Influencer-Marketing, wenn die Meinungsführer nicht zur Verteilung vorformulierter Werbebotschaften „missbraucht“ werden, sondern vielmehr gemeinsam Inhalte erarbeitet werden. Eine solche Vorgangsweise ist der Authentizität zuträglich und macht den cokreierten Content glaubwürdiger.

Apps und Plattformen werden kommen und gehen, Social Media als Ganzes aber bleiben, da sie den sozialen Austausch technologisch revolutioniert haben und per Knopfdruck – zumindest theoretisch – globale Erreichbarkeit rund um die Uhr ermöglichen. Dass Influencer-Marketing zukünftig zum Standardrepertoire im Tourismusmarketing gehören wird, scheint abgemacht. Die Branche wird sich weiter professionalisieren, „Hobby“-Influencer dürften dadurch zunehmend von der Bildfläche verschwinden, sobald nachfrageseitig ein strategischer und professioneller Zugang zum Thema Einzug gehalten hat. Allein überstrapazieren sollte man diesen Marketingkanal nicht. Die ideale Bewerbung einer Destination oder eines Beherbergungsbetriebs wird weiterhin vom gekonnten Bespielen verschiedener Kanäle, etablierter wie neuer, digitaler wie analoger, abhängig sein.

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