Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war

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35 Jahre Hotel & Touristik

Jubiläum

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Zum Hotel-&-Touristik-Jubiläum vor
25 Jahren riskierten Experten einen Blick in
die Zukunft. Eine Generation danacli
stellen Resümees und neue, vorsiclitigere
Visionen an.f AUTOR: FRED FETTNER

RaumschifFEnterprise durchkreuzt noch immer
das Weltall. Allerdings weiterhin nur televisio-
när. DieseinHotel&Touristik6/93 aufgestellte
Prognose ist – wie manch andere – eingetroffen. Auch wenn heute jeder nur mehr von Star Trek spricht.
Denn die Tendenz gerade im technischen Bereich allein
der englischen Sprache zuvertrauen, war in dieser Drastik
damals nicht zu erwarten.
Kommt es nun anders? Die jüngst rasant wachsende Qualität der Sprach- und Übersetzungsprogramme wird einen
vereinfachten Kommunikationszugang für alle Sprachgruppen bringen. Das erwartbare Ende der Sprachbarrieren lässt
auch eine der großen Hürden internationalen Reisens verschwinden. „Es ist jedem möghch, schneller und auf Augenhöhe miteinander zu reden. Wenn das System Baidu chinesisch auf enghsch übersetzt, Hingt es schon absolut klar“,
bestätigt der Bremer Innovationscoach Oliver Puhe. Er ergänzt, dass man sich angesichts dieser Tendenz in den Destinationenverstärkt um Begegnungszonen kümmern sollte. Die
Frage ist, ob es 2043 der Krücke Englisch noch bedarf, oder ob
bis dahin nicht schon die Weltsprachen in ansprechender Qualität direkt live übersetzt werden.Vermutlich wird über einen längeren Zeithorizont Enghsch
das Latein der Neuzeit werden, das alle perfekt beherrschen
müssen, die den Weg bestimmen wollen. Nutzer der Technik
benötigen es nicht mehr, was durchaus mit dem in Europa erkennbaren nationahstischeren Tendenzen übereinstimmt:
Denn in der Definition der kulturellen Heimat wird die
Sprache ihre Rolle bewahren.ES GIBT NICHT NUR EINE ZUKUNFTSoweit ein erster kleiner Bhck in die Zukunft, der die enge Verzahnung der touristischen Perspektiven mit technischen und
sozialen Veränderungen zeigt. Schon vor
einem Vierteljahrhundert erklärte Tourismusforscherin Felizitas Romeiß-
Stracke, damals Prodekanin an der
Fachhochschule München: „Die
Zukunft, als eine Zukunft, gibt es
nicht. Es wirdZukünfte geben.“
, Für den damahgen Zeitpunkt or-Jtete sie Orientierungs- und
Sinnkrisen, die typisch für ei-

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nen zeitlich begrenzten Wandel seien. Meist folge auf diese
Zeiten eine neue, stabilisierende Orientierung, wobei die Autoritäten durchaus Führer und Nationahsmus enthalten können. Ob nach dieser Definition noch Wandel oder schon Stabilität herrscht – wer wagt es zu behaupten?Die touristische Relevanz gesamtgesellschafthcher Entwicklungen ist unbestreitbar, wie es im vergangenen Jahrzehnt der Höhenflug und nachfolgende Absturz des Türkei-Tourismus
zeigte. „Überwiegend haben die Kollegen vor
25 Jahren doch ins Schwarze getroffen,“ ist
Mike Peters, Professor am Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus an der Universität Innsbruck, überzeugt. Sowohl Romeiß-Stracke als auch die
Schweizer Hans-Ruedi Müller und Jost
Krippendorf warnten davor, einfach die Geschichte fortzuschreiben.

DIE ENTWICKLUNG UNTERSCHÄTZTRiskiert man einen Blick auf die damahgen
Aussagen, dann darf man trefflich darüber
streiten, ob Fort schreibung oder Trendbrüche
eintrafen. In Krippendorfs Delphi-Studie wurden 1977 für das Jahr 2000 440 Millionen internationale Ankünfte errechnet, doch der
Wert war 1993 schon überschritten. Damals
wurden für 2010586 Millionen prognostiziert,
zu diesem Zeitpunkt näherte man sich aber
schon der MiUiarde. Heute halten wir bei 1,3
Milliarden internationalen Ankünften weltweit. Trotz 9/11 und der Finanzkrise 2008, die
jeweils nur kurzfristige Dellen, aber nicht touristische Trendwenden bewirkten. Wie Martin
Lohmann, NIT Kiel und wissenschaftlicher
Leiter der kontinuierhchen deutschen FUR-
Reiseanalyse sagt: „Disruption hat es nicht gegeben, eher langsame Entwicklungen, etwa
beim Aufstieg von Fernreisedestinationen im
Winter zu Lasten der Alpen.“Damals wie heute werden vor allem ökologische Ursachen für zuerwartende Trendbrüche angeführt. Vor 25 Jahren war das „Ozonloch“ in aller Munde, das Wissen um die
generelle Klimaerwärmungvorhanden, allerdings waren die Trumps damals in der Überzahl. Peters, der vor zwei Jahren für das Wirtschaft sministeri um die Studie Tourismus 2025
umsetzte, bedauert: „Ökologische Herausforderungen waren beim Projekt 2025 kaum
Thema – und das ist eigenthch traurig.“ So
seien sowohl die dramatische Veränderung
der Umweltbedingungen als auch jene im so-
zio-kulturellen Bereich (Stichwort: Overtou-
rism) nicht ausreichend im Tourismus verankert.NIKI LAUDA WEISS FAST ALLESAls Pragmatiker trat Niki Lauda schon vor 25 Jahren auf.
Und traf damit vieles punktgenau. „Je mehr Menschen anBelastung abverlangt wird,
desto mehr wollen sie Urlaub
machen. Es gibt noch genug
touristisches Neuland für die
Fheger.“ Nur bei seinem eigenen Business traf er es
nicht ganz so genau. Dass er
mal indirekt als Teil einer
Abu-Dhabi-Airhne in einen
deutschen Insolvenzfall verwickelt sein wird, hätte er
wohl nicht gedacht. Schon

n

NatlonaLlsmuskann
Tourismus stärker betreffen als elektroni-
sclie Entwicklungen.Hannes Werthner,
TU Wien

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eher an Ryanair, wo exakt
1993 Michael O´Leary den
Vorsitz antrat und kompromisslos das Low-Cost-Kon-
zept umzusetzen begann.
Doch die Dominanz der
Golfstaaten sowohl als Drehkreuze des Luftverkehrs als
auch als Flughnien war eine
der größten touristischen
Veränderungen in dieserZeitphase. Fakt ist zusätzlich, dass der Weltluftverkehr in
dieser Generation von etwa einer auf nun 4,1 MilHarden Passagiere explodiert ist. 2038 sollte sich der aktuelle Wert neu-
erhch verdoppelt haben.Aktuell sind futuristische Reisevisionen sonst eher
schwer zu erhalten. Es sei denn, man fragt, wie Travelzoo, die Bevölkerung. Demnach erwartet jeder zehnte
Mensch, sich 2030 an sein Reiseziel beamen lassen zu
können. Andererseits würden aber mehr als drei Viertel
(76 Prozent) der Verbraucher der fahrerlosen oder unbemannten Technologie nicht genug vertrauen, um mit
derartigen Verkehrsmitteln zu reisen. Aber 55 Prozent
halten künftige Überschallflugzeuge und Hyperloops
schon jetzt für vertrauenswürdig. Travelzoo-Boss Joel
Brandon-Bravo, erklärt dazu: „Fortschritte in der Automatisierung, künstlicher Intelligenz, Design und Materiahen bewirken eine Revolution des Reisens. Aber unsere Studie zeigt deuthch die Vertrauenslücke auf, die
es zu überbrücken gilt.“KEINER KANNTE DIE AUSWIRKUNGEN
DES INTERNETSElektronik bietet stets den beliebtesten visionären Einstieg. 1993 hatten die Fachleute deren Bedeutung durchaus schon gesehen, doch nicht immer die konkreten Auswirkungen vorhergesehen. So erwarteten die Forscher
damals, dass vernetzte Computer die Stausituationen
auflösen. Vor allem beim Straßenverkehr. Oliver Puhe
erwartet heute Ähnliches vom autonomen Fahren, das
vor allem an den Endpunkten schneller öffenthcher Verbindungen die Fahrt ans endgültige Reiseziel vereinfachen und so den Individualverkehr reduzieren sollte.„Wir haben den Wert des Internets für den Tourismus
und die künftigen Buchungsmöglichkeiten durchaus erkannt. Trotzdem kam vieles anders“, erinnert sich Hannes Werthner, Professor für E-Commerce und Dekan der
Fakultät für Informatik an der TU Wien. Er gilt als einer
der Vorreiter des E-Tourismus in Europa. So war er maßgeblich an der Konzeption und Entwicklungvon TIS (später Tiscover) beteihgt. 1994 wurden von ihm im Rahmen
der ersten Enter-Konferenz in Innsbruck drei grundsätz-
hche Thesen formuliert: 1. Tourismus ist ein Informati-

nUrbanisierung Ist
Tatsaclie, die Ferien-
liotellerie muss die
Lebensumstände der
Gäste besser einbinden.

onsgeschäft. 2. Die Zukunft ist elektronisch,
mit einem massiven Wachstum des elektronischen Anteils am Gesamtgeschäft. 3. Die
Branche wird sich strukturell ändern, mit Tendenz zur Konzentration.Dank TIS war 1990 Österreich damals ein absoluter Vorreiter, denn 1993 wurde der erste
grafikfähige Webbrowser eingeführt, der das
World Wide Web überhaupt erst sinnvoll er- möglichte. Wen wundert´s, dass Werthner denverpassten Chancen nachweint: „Was wir
falsch gesehen haben: Die direkte Kommunikation hat sich
nicht bewahrheitet, es ist dadurch zukeiner Demokratisierung
des Vertriebs gekommen. Und allen, die Direktvertrieb künftig von der Blockchain-Technologie erwarten, wird es gleich er¬

Thomas Reisenzahn,ProdingerTourismusberatung

NIEDEROSTERREICH
HINEIN INS LEBEN.

B

Dort, wo man statt
Schafen Sterne zählt,
den Wein erwandert,
die Wälder schmeckt
und in Bäumen schläft,
ist man

NIEDEROSTERREICHSAUSSERCEWÖHNLICHSTEUNTERKÜNETE

www.mederoesterreich.at/hinundweg

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Welche Rolle spielt Overtourism in Zultunft und wie reagieren die Gesellscliaften darauf?

Heute sieht er für das Hotel
der Zukunft die Umsetzung
mehrerer Trends. „Urbanisierung ist Tatsache, die Ferien-
hotellerie muss die Lebensumstände der Gäste besser
einbinden. Aus ökonomischer
Sicht sind Flächen- und weiterhin Mitarbeitereffizienz
weitere Notwendigkeiten“,
weiß Reisenzahn. Doppelzimmer werden kleiner, bei den
öffentlichen Bereichen werde
vor allem das Spa- abgesehen
von Spezialisten – auf das Nötigste reduziert. Ohnehin
werde passive Wellness häufig durch medizinnähere Mechanismen der Selbstoptimierung ersetzt. „Hotelkonzepte
werden mixed use, Start-ups
drängen hinein, Coworking
Places in Ferienumgebung
sind schon heute im Trend“,
ergänzt Reisenzahn.

gehen.“ Gänzhch neue Dominatoren wie booking.com hatte
man damals ebenso wenig einkalkuliert, wie die Chancenlosig-
keit öffentlicher Einrichtungen in der bereits damals erkannten Plattformökonomie. Doch die Branche, angeführt von Landeshauptmann Herwig van Staa, habe für Tiscover die
Hotelbewertungen verhindert – und dann das Unternehmen
nach Deutschland privatisiert. Was die Zukunft bringen kann,
sieht Werthner weniger als technologische Frage: „Politische,
ökonomische Regularien sind entscheidender – und Nationalismus kann Tourismus stärker betreffen, als elektronische Entwicklungen.“Die Praxis will die Digitahsierung aber nun besser im Auge behalten. „Die weltweite Vergleichbarkeit und absolute Transparenz binnen weniger Sekunden entscheidet mittlerweile über die Buchung. Wer hier nicht
reüssiert unddie erforderliche Leistung bringt,
wird schon mittelfristig nicht bestehen können“, sagt die WKO-Spartenobfrau Tourismus
Petra Nocker-Schwarzenbacher.

DIE DOPPELZIMMER WERDEN KLEINERWas sich auch durch TIS geändert hat, ist unbestritten das
Destinationsmanagement. Hier sei die größte Professionalisie-
rung zu erkennen betonen die Fachleute. „Nur eines ist nicht
eingetroffen: Wir hatten eine stärkere vertikale Integration der
Leistungsträger zu typischen Resorts erwartet“, sagt Thomas
Reisenzahn, Geschäfi:sführer der Prodinger Tourismusberatung.

HIGH TECH FÜR VERSTÄRKTE
INDIVIDUALISIERUNG NUTZENNur die Differenzierung des Angebots könne sich noch stärker entwickeln. „Die Urlaubswünsche werden sich weiter diver-
sifizieren, unsere Gäste werden auf eine viel stärkere Individualisierung des Reiseerlebnisses pochen“, ergänzt ÖW-Chefin
Petra Stolba. Sie ist überzeugt, dass gerade Smart Data nie dagewesene Möghchkeiten für diese Individuahsierung bietet.Nocker-Schwarzenbacher erwartet eine starke Erlebnisorientierung: „Erst wird geklärt: Was will ich erleben?
Dann entschieden: Welche
Unterkunft bietet mir in Verbindung dazu die optimale
Leistung?“ Während Werthner die globalen Konsumtrends auf einen einfachen
Nenner bringt: „Ich sehe zwei jeweils gegenläufige Trends:Vermassung und Mikroseg-
mentierung. Dazu Total Costumer Gare contra Do it yourself“
Die Tourismusforscher erwarten generell eine weiter wachsende Multioptionalität des Gastes. „Das Zielgruppendenken
ist schon jetzt vorbei, es gibt Erlebnisgruppen“, sagt Peter
Zellmann vom Wiener Institut für Freizeit- und Tourismusforschung. Insgesamt sieht er bei der Nachfrage stabiles

Das ZieLgruppendenken
ist schon jetzt
vorbei, es gibt
ErLebnisgruppen.Peter Zellmann,Institut für Freizeit- undTourismusforschung

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Wachstum: „Wer hätte vor einer Generation gedacht, dass wir
in Österreich einmal 145 Millionen Nächtigungen pro Jahr zählen?“ Vieles, was Skeptiker prognostizierten, sei nicht eingetroffen. Trotz älter werdender Bevölkerung sei das Durchschnittsalter der Gäste nicht angestiegen. Besonders mit
„Sicherheit“ könne man weiter punkten, dürfe dabei aber anders als bisher die kleinen Fallen wie Unfälle mit Weidevieh
oder auf Pisten nicht ignorieren. Zellmann erwartet auch, dass
Österreich von einer
wachsenden Unlust am
Fliegen profitieren
werde. „Der Nahbereich
wird weiterhin entscheidend sein. Ein Ansturm
von Asiaten ist die
Wunschprojektion junger Touristiker.“WIR WERDEN WIEDER
BILANZ ZIEHEN

Radikale Aussagen, wie
von Hans-Ruedi Müller
1993 G,Die orte des Mittelmeeres sind nicht darauf
ausgelegt, noch 30 Jahre
zu überleben. Sie verslu-
men.“), sind heute seltener zu vernehmen. Vielleicht, weil gelernt wurde,
dass es erstens anders
kommt und zweitens als
man denkt. Mag sein, die
Welt präsentiert sich 2043
nach politischen Einflusssphären zwischen USA,
Europa und China in
Äquidistanz dreigeteilt
und Europas Wohlstand
geht in verstärkte Militärausgaben und den Versuch, Afrika als Markt-
und Einflussgebiet zu
sichern auf Vielleicht wird
an einer europäischen
Universität das Lagerproblem von Strom gelöst und
das österreichische Akku-
Start-up E-Quant erreicht
die Abkehr von der Erdöldominanz.öder Österreichs Hotels profitieren davon,
dass in Kombination von

Plattform- und Blockchain-Technologie doch noch der direkte
Weg zum Gast gefunden werden kann. Wahrscheinlicher ist
aber, dass am Arlberg die verschneite Schräge auch dann noch
zur rasanten Talfahrt genutzt wird und Touristen – ob verschleiert oder nicht — in den Stephansdom drängen. Jedenfalls
wird Hotel & Touristik 2043 Bilanz ziehen. Vielleicht online
und mündhch, dafür in 100 Sprachen zur Auswahl. Nur fix
ohne Fred Fettner. Aber was weiß man schon? &

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