Alter und Werte: Die Grundorientierungen der Best Ager

Alter war schon immer ein beliebtes Gruppierungsmerkmal: Es ist objektiv messbar, relativ leicht zu erheben und hat eine hohe face validity. Jeder kann sich was drunter vorstellen.

Ein Artikel von Dr. Bertram Barth, Geschäftsführer der INTEGRAL Markt- und Meinungsforschungsges.m.b.H

Als Best Ager definiert man oft die Bevölkerung ab 50, was ca. 40 % der gesamten österreichischen Bevölkerung entspricht. Diese Altersdefinition schließt auch andere gängige Einteilungen nach Generationen mit ein:

  • Etwa die Hälfte der Best Ager fallen in die Generation der Baby Boomer (üblicherweise teilt man ihr alle zu, die Anfang der 1950er bis Ende der 1960er Jahre geboren sind).
  • Ein Drittel wäre dann die Kriegs- bis Nachkriegsgeneration, mitunter als Traditionals bezeichnet.
  • Und ein knappes Fünftel würde man dann noch aus der Generation X finden.

Für den Generationenbegriff gibt es durchaus eine wissenschaftliche Grundlage. Der Soziologe Karl Mannheim beschrieb vor fast 100 Jahren Altersgruppen, die durch gemeinsame Generationserlebnisse bestimmt sind, d.h. durch besonders prägende Ereignisse in Kindheit und Jugend. Diese prägenden Ereignisse für die eben beschriebenen Generationen zu finden, ist schon nicht einfach. Noch weniger gelingt das für die Best Ager. Innerhalb dieser Altersgruppe ist ein gewaltiger Werteshift passiert. War die unmittelbare Nachkriegszeit von Wiederaufbau und den Werten des Verzichts bestimmt, von traditioneller Moral und den „Pflicht- und Akzeptanz“ – Werten, so bewegten sich die gesellschaftlichen Leitwerte im Wirtschaftsaufschwung der 1960er Jahre in einer dialektischen Wende hin zu Status, Lebensstandard und Genuss[1]. Konsum wurde zur Bürgerpflicht. Also wie bringt man nun für die Best Ager Verzicht & Konsum auf den Punkt?

Milieustruktur der Best ager

Die Sinus-Milieus sind vertikal nach Sozialschicht beschreibbar, horizontal nach ihre Grundorientierung, also nach ihren Werten. Dabei finden wir links im System die traditionellen Werte, in der Mitte die Werte der Modernisierung und rechts die der Neuorientierung. Jugendliche in der sogenannten formativen Phase, also in ihrer Wertesozialisierung bedienen sich aus dem Wertevorrat der Gesellschaft, der prinzipiell die gesamte Bandbreite umfasst, also von traditionell zu postmodern reicht. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich Jugendliche rechts im System (also auf der (post-)modernen Seite) eher wiederfinden als auf der traditionellen Seite. Deswegen dürfen wir auch erwarten, dass sich die Milieustruktur der Best Ager anders darstellt als jene der Gesamtbevölkerung. Aber die Unterschiede sind überraschend gering, wie die folgende Darstellung zeigt.

Wir finden bei den ab 50jährigen mehr Angehörige des Traditionellen Milieus und der Konservativ-Etablierten und weniger der Performer und der Zukunftsmilieus (Kosmopolitische Individualisten und Progressiven Realisten) – die anderen Milieus befinden sich in etwa im Bevölkerungsdurchschnitt. Das heißt aber auch, dass wir die Best Ager nicht über einen Leisten schlagen können. Weder gibt es „die Jungen“, noch „die Alten“ – die lebensweltliche Vielfalt zieht sich durch alle Altersgruppen.

Die wichtigsten Grundorientierungen der Best Ager

Die Vielfalt innerhalb der Best Ager sollte vom Marketing nicht ignoriert werden. Will man alle ansprechen, erreicht man niemanden. Im Folgenden beschreiben wir nun die wichtigsten sechs Grundorientierungen, die jeweils unterschiedlich adressiert werden sollten.

Die Etabliert-Postmaterielle Haltung (26 %)

Mehr als ein Viertel der Best Ager gehört zu den Milieus Konservativ-Etablierten oder der Postmateriellen, die als Zielgruppen der ab 50jährigen gut gemeinsam ansprechbar sind.

Angehörige der Etabliert-Postmateriellen Haltung sehen sich als gesellschaftliche Elite, die humanistische Grundsätze betont und Verantwortung übernimmt. Bildung, Intellektualität und Kultiviertheit sind zentrale Komponenten dieses Selbstverständnisses. Im Konservativ-Etablierten Bereich spielen Disziplin und Ordnung, Autorität, Glaube und Religion eine große Rolle, die gesellschaftliche Ordnung wird anerkannt. Postmaterielle betonen eher Selbstbestimmung, Authentizität und Selbstentfaltung und permanente Kritikbereitschaft an der Gesellschaft. Aber beide gemeinsam orientieren sich an Verantwortungsethik als wichtiger Maßstab für das eigene Handeln. In diesem Zusammenhang sind Umweltschutz und verantwortungsbewusster Konsum zentrale Forderungen.

Man weiß aber auch, das Leben zu genießen, pflegt Lebenskunst und sucht subtile Genüsse. Zentral sind in diesem Zusammenhang gehobene Ästhetik, anspruchsvolle intellektuelle und kulturelle Interessen und Distanzierung von Massen-Trends und von Kitsch und Trash.

Die Erlebnisorientierten (12 %)

Hier fassen wir die drei Milieus der Performer, Kosmopolitischen Individualisten und Progressiven Realisten zusammen. Diese Milieus vertreten zwar sehr unterschiedliche Werte in Hinblick auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Alle drei Milieus aber eint der Wunsch nach Abwechslung, Erlebnissen und neuen Erfahrungen. Sie haben eine hohe Digitalkompetenz, sind online und offline vernetzt, global orientiert und setzen auf Eigenverantwortung und Zielorientierung.

Die Erlebnisorientierten werden von vielen anderen aus der Gruppe der Best Ager teils skeptisch, teils bewundernd beobachtet und haben für oft eine Vorbildwirkung.

Die Adaptiv-Pragmatische Mitte (10 %)

Die Adaptiv-Pragmatischen sehen sich moderne, aufgeschlossene Mitte der Gesellschaft. Sie sind zielstrebig und anpassungsbereit, gut ausgebildet und gut organisiert. Sie haben einen ausgeprägten Lebenspragmatismus und wollen sich das Leben so angenehm wie möglich gestalten.

Was sie besonders auszeichnet, ist ein funktionales, nutzenorientiertes Denken. „Was bringt mir das?“ ist hier die Schlüsselfrage. Sie haben auch ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität, nach Orientierung und Planbarkeit sowie nach Verankerung und Zugehörigkeit.

Die Adaptiv-Pragmatischen sind als moderner Mainstream an alle anderen Milieus anschlussfähig, deswegen geht ihre Bedeutung weit über die Milieugröße hinaus. Eine Marketingstrategie, die auf die Grundwerte dieses Milieus abzielt, kann durchaus auch die angrenzenden Milieus quasi mitnehmen.

Die Hedonisten (13 %)

Es mag überraschen, dass die hedonistische Grundorientierung im Best Ager Bereich sogar etwas stärker verbreitet ist als in der Gesamtbevölkerung (13 vs. 11 %). Aber der momentbezogene Erlebnishunger ist nicht nur eine Angelegenheit der Jugend. Auch Ältere wollen Spaß haben im Hier und Jetzt und haben ihre eigenen Cliquen, in denen sich ihr Leben abspielt, bewusst oft auch definiert als Abgrenzung von den „Spießern“ der Mehrheitsgesellschaft.

Hedonisten verstehen sich als coole Lebenskünstler:innen, die den Alltag packen und in der Freizeit Spaß haben. Sie haben eine ausgeprägte Risikobereitschaft und den Wunsch nach intensivem Leben: Fun & Action, spontaner Konsum, Identifikation mit Lifestyle-Trends (Mode, Sport, Events, Bodytuning, U-Elektronik) charakterisieren ihr Leben.

Die Nostalgisch-Bürgerlichen (11 %)

Die Nostalgisch-Bürgerlichen sind weder jung noch alt. Ihre Nostalgie bezieht sich nicht auf Lebenserfahrungen, sondern auf eine Vorstellung vom früheren Funktionieren der Gesellschaft, wo in Österreich noch Anstand und Ordnung herrschte und die Zukunft planbar war. Im Unterschied zur Adaptiv-Pragmatischen Mitte haben sich die Nostalgisch-Bürgerlichen aus dem Mainstream verabschiedet und fühlen sich von den tonangebenden Eliten vernachlässigt bzw. in ihren Sorgen nicht mehr ernstgenommen.

Nostalgisch-Bürgerliche suchen Erfüllung im Leben durch privates Glück, Geborgenheit in einer (intakten) Familie und Eingebundensein in die lokale Nahumwelt mit einem verlässlichen und akzeptierenden Netzwerk aus Freundeskreis, Nachbarschaft, Vereinen.

Sie verfügen über ein (mittleres) Ein- und Auskommen, aber haben eine virulente Furcht vor sozialem Abstieg und Ausgrenzung und davor, nicht mehr mitzukommen – technologisch, sozial, finanziell.

Die Bescheiden-Traditionellen (28 %)

Die größte Gruppe schließlich entsteht aus der Zusammenfassung der Milieus der Traditionellen und der Konsumorientierten Basis. Sie ist im Durchschnitt 69 Jahre alt und damit deutlich älter als die anderen Grundhaltungen (die alle recht vergleichbar im Durchschnittsbereich von 63 bis 65 Jahren liegen). Während die Traditionellen selbstgenügsam wegen der Akzeptanz der klassischen Normen von Verzicht und Zurückhaltung sind, ist es die Konsumorientierte Basis eher aus Notwendigkeit. Beiden gemeinsam ist aber ihr SSelbstverständnis als rechtschaffene Durchschnittsbürger, die durch den beschleunigten technologischen und sozio-kulturellen Wandel zunehmend an den Rand gedrängt und von der Gesellschaft vergessen werden. Sie kritisieren die zunehmende Kälte in der Gesellschaft und die Entsolidarisierung und fühlen sich oft als Opfer der Globalisierung und der rücksichtslosen und ignoranten Politiker:innen.

Urlaube und Reisen

Erwartungsgemäß sind die Erlebnisorientierten am urlaubaffinsten – sie können sich Urlaubsreisen gut leisten und suchen im Aktivurlaub Abwechslung und Anregungen, Sport, Unterhaltung und Vergnügen. Insgesamt sind sie für alle abgefragten Urlaubsarten überdurchschnittlich zu motivieren – relative Spitzenwerte haben sie aber für Städtereisen und Rundreisen, auf denen sie kompakt möglichst viele Erfahrungen sammeln können.

Die Urlaubsaffinität der Etabliert-Postmateriellen ist nur wenig geringer ausgeprägt. Auch sie sind finanziell gut gestellt und durch zwei Motive urlaubsgeneigt – entweder die Welt kulturell und/oder geographisch kennenzulernen oder auszuspannen und sich in beschaulicher Umgebung und ansprechender Natur zu bewegen und zu erholen. Einen Spitzenwert haben sie beim Wanderurlaub.

Auch die große Mehrheit der Nostalgisch-Bürgerlichen plant Urlaubsreisen. Sie können sich Urlaube leisten, schauen aber auch stark auf die Kosten. Sie wollen in erster Linie Abstand zum Alltag gewinnen, ausruhen, faulenzen, „kein Stress“ ist ein wichtiges Motiv. Dabei können sie sich durchaus für entspannte Städtereisen erwärmen, ebenso für Wellnessurlaube und (hier haben sie den relativen Spitzenwert) für einen Badeurlaub in Österreich.

Die Urlaubsneigung der Adaptiv-Pragmatischen Mitte ist fast ebenso ausgeprägt. Mit ihrer Reisemotivation liegen sie zwischen den Erlebnisorientierten und den Nostalgisch-Bürgerlichen – am liebsten hätten sie eine gelungene Verbindung aus Unterhaltung und Erholung. Badeurlaub am Meer oder Wellnessurlaub sind für sie am interessantesten.

Die Hedonisten planen nur etwa zur Hälfte, eine Urlaubsreise zu unternehmen. „Planung“ ist überhaupt ein schwieriges Wort in diesem Milieu, daher unterschätzt diese Aussage auch ihre tatsächlich getätigten Urlaube. Aber insgesamt ist ihre Reiseneigung unterdurchschnittlich – teils aus finanziellen Gründen, teils aber, weil viele auch im Urlaub am liebsten mit ihrer Clique vor Ort abhängen. Nur Wellnessurlaub kann sie überdurchschnittlich motivieren.

Die Bescheiden-Traditionellen schließlich können und wollen sich Urlaubsreisen eher nicht leisten. Wenn Urlaub, dann am liebsten Ausspannen in vertrauter Umgebung. Auch für gesundheitliche Argumenten sind sie erreichbar.

Fazit

„Best Ager“ ist als Sammelkategorie für strategisches Marketing nur bedingt relevant. Die lebensweltliche Vielfalt dieser Altersgruppe sollte verstanden und gezielt adressiert werden. Im Bereich Tourismus scheint es sinnvoll, zumindest fünf Grundhaltungen zu differenzieren.

  • Erlebnisorientiert: Aktive Suche nach Abwechslung und Anregungen in vielfältiger Form – über Sport, am Meer oder im Gebirge, über kompakte Besichtigungsreisen etc.
  • Etabliert-Postmateriell: Wunsch nach einer nachhaltigen und verantwortungsbewussten Auseinandersetzung mit Kultur und Natur
  • Nostalgisch-Bürgerlich: Stressfreier Abstand zum Alltag, mit Vorliebe in Österreich
  • Adaptiv-Pragmatisch: Verbindung von Unterhaltung und Entspannung
  • Hedonistisch: Spaß und Erlebnisse unter Gleichgesinnten

Trendreport Best Ager – Infos und Bestellung

Mehr zur Grundorientierung der Best Ager gibt es im Smart Hotel Key Podcast zu hören. Als Gesprächspartner die Experten für die Sinus Milieus zur Verfügung, Dr. Bertram Barth und Alexandra Mossakowski von der von der INTEGRAL Marktforschung.


[1] Näheres dazu in Barth, Bertram; Flaig, Berthold Bodo. „Was sind die Sinus-Milieus? Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Fundierung und Praxisrelevanz eines Gesellschaftsmodells“. In: Jugendliche Lebenswelten. Perspektiven für Politik, Pädagogik und Gesellschaft, hrsg. von Thomas, Peter Martin; Calmbach, Marc (Hrsg.), S.11-32. Berlin, Heidelberg: Springer Spektrum.

[2] Weitere Erläuterungen dazu in Flaig, Berthold Bodo; Barth, Bertram 2018. „Hoher Nutzwert und vielfältige Anwendung: Entstehung und Entfaltung des Informationssystems Sinus-Milieus®“, in Praxis der Sinus-Milieus®. Gegenwart und Zukunft eines modernen Gesellschafts- und Zielgruppenmodells, hrsg. v. Barth, Bertram; Flaig, Berthold Bodo; Schäuble, Norbert; Tautscher, Manfred, S. 3-22. Wiesbaden: Springer VS.


Ihre Kontaktperson:

Marco Riederer

m.riederer@prodinger.at

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